Verstohlen schaue ich auf die Uhr. Seit geschlagenen 23 Minuten referiert die Besitzerin eines Katers vor mir über die tödlichen Erkrankungen, die ihr armer Kater erleiden muss. Der Kater ist schwerstens gelangweilt und testet seine Krallen und Zähne. In meiner Hand. Autsch. Untersuchen darf ich den Kater nicht, die Besitzerin besteht darauf, mir vor der Untersuchung ihre Diagnosen mitzuteilen. Der Kater hätte sich am Wochenende einmal übergeben. Fressen tut er, ja, klar. Durchfall hat er nicht, aber das ist bei tödlichem Darmkrebs ganz normal. Irgendwie, jetzt, nach 27 Minuten, erklärt mir die Besitzerin auch, wie sie zu dieser Diagnose kommt. Ja, sie hätte da eine ganz tolle Katzenflüsterin. Die kann mental mit Katzen Kontakt aufnehmen. Via Skype. Und dann übersetzt sie den Besitzern, was die Katze denkt. Der Kater denkt sich momentan: "So eine Scheiße." Und "Stirb, Tierarzt." Diesen Gedanken untermauert er, indem er mich anfaucht und die Krallen ausfährt. Ich übe mich in Geduld. Nebenbei erzählt die Besitzerin, dass sie Lehrerin ist. Das kann nicht sein. Ich beschließe, mein Kind niemals in die Schule zu geben. "Google ist ja auch so toll. Da gibt man ein, dass der Kater bricht, und schon hat man die passende Krankheit dazu." "Und Dr. Google hat diagnostiziert, dass ihr Kater Krebs hat? Und die Katzenflüsterin hat das bestätigt?", frage ich fassungslos. Begeistert nickt die Lehrerin, endlich habe ich verstanden.

Ich hätte auf meine Eltern hören sollen. Wieso esse ich Schokolade statt Salat und trinke Cola statt Leitungswasser? Hätte ich meine Figur von vor 15 Jahren könnte ich auf Stewardess umsatteln. Ich würde während eines Kurzstreckenfluges einen tollen Atomphysiker kennenlernen, der begeistert wäre von der neurotischen Art, mit der ich ihm seinen eisgekühlten Chablis im Plastikbecher serviere und dabei quasi nebenbei die Strahlenbelastung des Fluges in Mikrosievert ausrechne. Gemeinsames, nerdiges Wochenende in der Nähe eines hübschen Atomkraftwerkes, und schwupps, Vollzeitfreundin eines ganz großen Wissenschaftlers. Die Marie Curie des 21. Jahrhunderts. Es hätte so leicht sein können.

Minute 42. Es reicht. Ich bin die Phantasiefreundin eines Nobelpreisträgers. Ich hab das nicht nötig. Ich richte mich auf, schaue der Lehrerin ernst ins Gesicht und räuspere mich. "Ihr Kater spricht zu mir. Er erzählt mir gerade, dass er die Katzenflüsterin verarscht hat."

Die Lehrerin flüstert beeindruckt: "Frau Doktor, sie haben´s wirklich drauf." Der Kater miaut zustimmend und meint zu mir, dass er Connections zur Internationalen Atomkraftbehörde hat. Für 1/2kg Katzenminze wird er mir einen Job dort vermitteln. Guter Deal.